Bronsteins Kinder von Jurek Becker

“Hanauer Kanon der Literatur“: In diesem Buch stellen 100 Hanauer Persönlichkeiten ihre ganz besondere Leseempfehlung vor. Es wurde 2014 vom Buchladen herausgegeben und ist nur hier erhältlich. Der folgende Text ist der Beitrag von Martin Bieberle:

Die Kulisse für die Geschichten in der Geschichte ist ein verregneter Sommer des Jahres 1973 in Ostberlin. Der Erzähler Hans Bronstein lebt bei den Eltern seiner ersten Liebe Martha Leibnitsch, Jüdin wie er.

Er ist nach dem Tod seines Vaters, einem ehemaligen KZ-Häftling, Vollwaise. Die Schwester Elle, die die Nazizeit im bezahlten Versteck bei Bauern überlebt hat, lebt in einer Nervenanstalt, weil Sie scheinbar grund- und wahllos Gesichter zerkratzt. „Noch nie hatte ich jemandem gegenüber gestanden, den Elle angegriffen hatte. So also sah ein Gesicht aus, das Sie nicht ertragen konnte. Für mich hatte es nichts Beängstigendes an sich, es war ein Dutzendgesicht, blass und unverdächtig.“ Vor einem Jahr erlebte Hans seine erste große Liebe. „Martha nahm meinen Arm, legte ihn sich um die Schulter und klemmte meine Hand in ihrer heißen Achsel fest, ich fühle es heute noch.“ Hans und Marta trafen sich regelmäßig heimlich im „kleinen Haus“ des Vaters im Wald. Auf dem Weg zum geheimen Treffen entdeckt Hans seinen Vater und zwei weitere ehemalige KZ-Häftlinge, die einen Mann im Haus gefangen halten. Das Opfer ist der Täter von einst. „Das Ungeheuerliche hatte sich im Gesicht des Aufsehers wunderbar getarnt: hinter Stirnfalten, grauen Augen ohne Brauen, Augenrinnen, Bartstoppeln und hinter einem blassen Mund, der selbst beim Sprechen kaum aufging, war es unauffindbar.“

„Darf einer, der mit dreißig Jahren geschlagen wird, mit sechzig zurück schlagen?“ An dieser Frage entzweien sich Vater und Sohn. Neben Schuld und Sühne ist es auch eine Geschichte über die Identität eines Juden in Deutschland. “Martha spielt in einem Film als Jüdin eine Jüdin. „Warum mussten Juden im Film von echten Juden dargestellt werden? Als Martha diese Rolle angeboten worden war, hätte sie antworten müssen: Nur wenn auch die SS-Männer echte SS-Männer sind.“